Geschäftsklima in Mittelosteuropa
In der im Juli 2011 durchgeführten Erhebung zum Thomson Reuters & OeKB Geschäftsklima-Index Mittelosteuropa wird erstmals seit April 2009 eine Verschlechterung des Geschäftsklimas in der Region festgestellt. Eine Abschwächung der Aufwärtsdynamik beim entsprechenden Indikator wurde allerdings schon in der vorhergehenden Erhebung vom April 2011 beobachtet. Zudem haben sich nach Einschätzung der befragten Direktinvestoren die Konjunkturaussichten für die Mehrzahl der beobachteten Länder Mittelosteuropas eingetrübt.
Mit dem derzeitigen Geschäftsgang ihrer Betriebe in Mittelosteuropa zeigen sich die rund 400 MOE-Headquarters, die von Österreich aus ihre 1.400 Unternehmensbeteiligungen in der Region steuern, insgesamt zufrieden, auch wenn der entsprechende Indikator um 1 Prozentpunkt zurückgeht: Für 43 % der Niederlassungen vor Ort wird die momentane Situation als positiv eingestuft, während für nur 14 % der Betriebe eine schlechte Performance gemeldet wird. Deutlich pessimistischer als im April bewerten die Direktinvestoren hingegen die Geschäftsaussichten ihrer MOE-Niederlassungen für die kommenden sechs Monate: Der Indikator der Geschäftserwartungen sinkt im Juli um 8 Prozentpunkte auf einen aktuellen Wert von +31. Schon in der April-Erhebung hatte der Indikator leicht nachgegeben. Insgesamt trübt sich das Geschäftsklima in der Region, welches sich aus der aktuellen Geschäftslage und den Geschäftserwartungen zusammensetzt, ein: Der entsprechende Indikator fällt um 5 Prozentpunkte auf +30 und liegt damit derzeit nur knapp über seinem langfristigen Durchschnittswert (2007-2011) von +29.
Vorsichtiger als noch vor drei Monaten sind die Direktinvestoren im Juli 2011 auch hinsichtlich der makroökonomischen Perspektiven für Mittelosteuropa: Nachdem schon im April ein leichter Rückgang des Konjunktur-Indikators um 2 Prozentpunkte beobachtet wurde, beträgt das Minus in der aktuellen Erhebung 4 Prozentpunkte. Dies deutet auf eine Abschwächung der Wachstumsdynamik in der Region in den kommenden zwölf Monaten hin. Entsprechend der vorsichtigeren Einschätzung des volkswirtschaftlichen Umfelds in Mittelosteuropa und den gesunkenen Geschäftserwartungen signalisieren die Direktinvestoren eine geringere Bereitschaft, neue Märkte zu erobern. Waren im April 2011 noch 54 Markteintrittsprojekte – d.h. Gründungen neuer Beteiligungen in Ländern, in denen noch keine Niederlassung besteht – geplant, sinkt die Zahl im Juli auf 39. Davon entfällt mit derzeit 9 geplanten Neu-Investitionsprojekten fast ein Viertel auf Serbien Montenegro (Serbien, Montenegro und Kosovo werden aus statistischen Gründen zu einer Region zusammengefasst). Der Indikator der Erweiterungsinvestitionen, der die Bereitschaft der Erhebungsteilnehmer, bereits bestehende Niederlassungen aus- bzw. abzubauen, misst, kann indes sein Niveau vom April halten. Dies zeigt insgesamt, dass die Direktinvestoren weiterhin stark in der Region Mittelosteuropa verankert bleiben wollen, sich aber beim Eintritt in neue Märkte im Vergleich zum April etwas vorsichtiger verhalten.
Die Zuversicht für Kroatien steigt im Licht des geplanten EU-Beitritts. Vergleicht man die Entwicklungen auf Länderebene, sticht in der aktuellen Erhebung Kroatien sehr positiv hervor. Im Kontext des erfolgreichen Abschlusses der EU-Beitrittsverhandlungen im Juni 2011 bewerten die Direktinvestoren die Konjunkturaussichten für Kroatien erheblich positiver als im April. So steigt der Konjunktur-Indikator im Juli 2011 um 22 Prozentpunkte, während für die meisten anderen analysierten mittelosteuropäischen Länder der Konjunktur-Indikator sinkt. Auch das Geschäftsklima im Land hat sich deutlich aufgehellt: Der entsprechende Indikator steigt um 7 Prozentpunkte auf einen aktuellen Wert von +23. Dieser Aufwärtsentwicklung liegen sowohl die gestiegene Zufriedenheit der Direktinvestoren mit der derzeitigen Performance der Niederlassungen vor Ort, als auch die deutlich verbesserten Geschäftsaussichten zu Grunde. Trotz der großen Zuwächse liegen allerdings die genannten Indikatorwerte für Kroatien teilweise immer noch unterhalb der Vergleichswerte für die Gesamtregion MOE und sind vor dem Hintergrund einer niedrigen Ausgangsbasis zu bewerten.
Die stärkste Abkühlung des Geschäftsklimas wird im Juli 2011 für Polen und Slowenien festgestellt: Die entsprechenden Indikatoren sinken für beide Länder um jeweils 10 Prozentpunkte. Während allerdings das Geschäftsklima in Polen mit einem Indikator-Wert von +48 weiterhin vergleichsweise günstig beurteilt wird (und über dem langfristigen Durchschnittswert von +41 liegt), wird die Situation in Slowenien von den Direktinvestoren kritischer eingeschätzt: So erreicht der Geschäftsklima-Indikator nach dem zweiten Rückgang in Folge lediglich einen Wert von +19, liegt damit deutlich unter dem MOE-Durchschnitt und ist damit auch niedriger als der langfristige Durchschnitt für das Land selbst (+33). Dabei wirken sich aus Sicht der Direktinvestoren – neben der verschlechterten aktuellen Geschäftslage der Betriebe vor Ort – vor allem die gesunkenen Geschäftserwartungen negativ auf das Geschäftsklima in Slowenien aus. Auch in Bezug auf die Konjunkturaussichten für das Land zeigen sich die Erhebungsteilnehmer merklich vorsichtiger als noch im April: Der entsprechende Indikator für Slowenien sinkt um 13 Prozentpunkte und weist mit +12 den derzeit niedrigsten Wert für alle beobachteten Länder auf.
In einer branchenweisen Betrachtung fällt auf, dass die Direktinvestoren im Juli vor allem für die verarbeitende Industrie ihre Geschäftserwartungen deutlich zurück nehmen. Auch die aktuelle Geschäftslage wird etwas schlechter beurteilt (der Indikator sinkt um 5 Prozentpunkte), so dass es zu einer deutlichen Abkühlung des Geschäftsklimas kommt: Der entsprechende Indikator fällt um 11 Prozentpunkte gegenüber April, als der Sektor im Branchenvergleich noch das beste Geschäftsklima aufwies. Die Erhebungsteilnehmer bewerten allerdings nicht nur die betriebswirtschaftliche Performance ihrer Industriebeteiligungen in Mittelosteuropa vorsichtiger, sie sind auch bei der Beurteilung der makroökonomischen Perspektive für die Region zurückhaltender. Dementsprechend ist auch die Investitionsbereitschaft der Direktinvestoren aus der Sachgütererzeugung gesunken, sowohl was den Eintritt in neue Märkte, als auch was Investitionen in bestehende Beteiligungen (Erweiterungsinvestitionen) betrifft.
Uneins zeigt sich im Juli der Finanzsektor bei der Bewertung des Geschäftsklimas. Während für die Banken ein – wenn auch sehr geringer – Anstieg des Geschäftsklima-Indikators von 1 Prozentpunkt festgestellt werden kann, sinkt der entsprechende Indikator für die Versicherungsbranche mit 10 Prozentpunkten deutlich. Damit ist das Geschäftsklima im Bankensektor erstmals seit Oktober 2009 wieder besser als in der Versicherungsbranche. Auf Seiten der Versicherer trübt vor allem die merklich schlechtere aktuelle Performance der Niederlassungen vor Ort das Bild: Mit einem Rückgang um 17 Prozentpunkte gegenüber April sinkt der Indikator der aktuellen Geschäftslage auf einen Wert von +26 und liegt damit weit unter seinem langfristigen Durchschnitt von +50. Im Bankwesen bleibt die aktuelle Geschäftslage der MOE-Beteiligungen nach Einschätzung der Direktinvestoren per Saldo hingegen unverändert bei einem Indikatorwert von +36. Hinsichtlich der Geschäftserwartungen steigt der Optimismus der Banken, der sich mit einem Zuwachs des Indikatorwerts um 5 Prozentpunkte im April bereits abgezeichnet hat, weiter an. Die Versicherungsbranche hingegen bewertet ihre Geschäftsperspektiven nun etwas vorsichtiger als im April: Der Indikatorwert der Geschäftserwartungen sinkt um 3 Prozentpunkte.
Der Thomson Reuters & OeKB Geschäftsklima-Index Mittelosteuropa (MOE) basiert auf vierteljährlichen Primärerhebungen unter rund 400 Entscheidungsträgern von MOE-Headquarters mit Sitz in Österreich, die zu rund 1.400 ihrer Unternehmensbeteiligungen in Mittelosteuropa befragt werden. Erhoben werden die Einschätzungen der Direktinvestoren zur Aktuellen Geschäftslage sowie deren Erwartungen hinsichtlich der Geschäftsentwicklung in den Unternehmensbeteiligungen vor Ort (Geschäftsklima), Expansions- und Investitionsstrategien der Unternehmen in MOE, Beurteilungen der Standortqualität Österreichs als Brückenkopf für das Mittelosteuropa-Geschäft und schließlich Einschätzungen zur allgemeinen Wirtschaftsentwicklung in der Region. Der Thomson Reuters & OeKB Geschäftsklima-Index Mittelosteuropa bietet differenzierte Analysen nach Ländern, Branchen und Unternehmensgrößen. Als Ergebnis stehen der Wirtschaft Frühindikatoren zur Verfügung, die praxisnahe Aussagen und Prognosen u.a. über den Geschäftserfolg von Direktinvestoren in einzelnen Ländern Mittelosteuropas bzw. in der Gesamtregion ermöglichen.
Quelle: OTS